Im London des 18. Jahrhunderts verewigte der Tagebuchschreiber Samuel Pepys eine poetische Dualität mit nur wenigen schlichten Worten –„Träumen und Wachen“. Diese Formulierung, entnommen seinen persönlichen Reflexionen, verleiht einem außergewöhnlichen musikalischen Projekt seinen Namen – einer Reise durch barocke Klanglandschaften. Das Album lädt dazu ein, die Spannung zwischen stiller Einkehr und lebendiger Energie zu erkunden – Themen, die sowohl in Pepys' Zeit als auch im heutigen Menschsein tief verankert sind. Das sorgfältig ausgewählte Repertoire spiegelt diese emotionalen Zustände mit einer Sensibilität wider, die zugleich berührt und der historischen Authentizität höchsten Respekt zollt.

Träumen und Wachen mit Iris Lichtinger und Axel Wolf. Dieses Album fängt die Essenz von Pepys' Worten mit einem faszinierenden Zusammenspiel von Blockflöte und Laute ein. Die Auswahl an barocken Stücken wurde bewusst getroffen, um den Übergang vom meditativen Schlummer zum wachen, lebendigen Erleben hörbar zu machen. Die Toccata von Giovanni Girolamo Kapsperger ist ein Paradebeispiel für stille Versenkung – so feinfühlig gespielt von Axel Wolf, dass man das Gefühl hat, einem stillen Gebet zu lauschen. Im Gegensatz dazu steht Solomon Eccles’ „Bellamira“ – ein Stück, das förmlich aufblüht, wenn Iris Lichtingers Blockflöte mit leuchtender Lebendigkeit erklingt und den Moment einfängt, in dem der Geist aus dem Schlaf ins Licht erwacht.

Die Stimme in der Flöte

Iris Lichtinger verwandelt die oft unterschätzte Blockflöte in ein hoch expressives Instrument. Was oft als schlicht gilt, wird bei ihr zur Stimme von Atem, Gefühl und Tiefe. Mit enormer Kontrolle formt sie Phrasen, die von hauchzarten Flüstern bis zu weit ausschwingenden Klangwellen reichen. Jeder Ton trägt Bedeutung – jede Nuance offenbart, was in dem schlichten Holzrohr schlummert. Eine Darbietung, die direkt ins Herz trifft: lebendig, berührend, zeitlos.

Klangwelten zwischen Gestern und Heute

Axel Wolf, der  als Lautenist brilliert und sich gerne mit Jazz-Improvisationen am Saxophon entspannt, bringt eine feine Portion Improvisationsgeist ins Spiel. Mit seinem Gespür für Klangfarben und Rhythmus verbindet er die Struktur Alter Musik mit moderner Ausdruckskraft. Gemeinsam mit Lichtinger erschafft er eine barocke Klangwelt, die über Jahrhunderte hinweg strahlt – emotional intensiv, frei im Ausdruck, und doch tief verwurzelt in der Geschichte. Ihr Zusammenspiel ist intuitiv, inspiriert – und einfach neu gedacht.

Fazit

Träumen und Wachen mit Iris Lichtinger und Axel Wolf ist weit mehr als eine Sammlung barocker Kompositionen – es ist eine klangliche Erkundung des menschlichen Bewusstseins. Diese CD bewegt sich zwischen zwei Welten: der stillen Intimität des Traums und der vibrierenden Präsenz des wachen Moments. Mit tiefem Feingefühl und großartiger Musikalität hauchen Lichtinger und Wolf der Alten Musik neues Leben ein – sie lassen sie wiederentstehen, sie lassen sie heute sprechen. Jeder Atemzug, jede Berührung wird zum Ausdruck gelebter Poesie.